80 Jahre ist die Befreiung von Auschwitz her. Zeit, die schnell vergeht. In diesem Teil der Serie „Jüdisches Leben in Bochum“ geht es um mehr oder weniger bekannte Spieler des VfL Bochum 1848. Diese sind im Rahmen einer Lesung im Stadtarchiv vorgestellt worden.
Auch wenn nicht jedes Detail aus den Leben von Philipp Anschel, Willy Kissinger und Erich Gottschalk rekonstruierbar gewesen ist, so haben alle drei etwas gemeinsam: Sie stammen aus den Gründervereinen des VfL Bochum 1848. Ihre Leben sind im Rahmen einer Lesung des Stadtarchivs vorgestellt worden. Insgesamt zwei Jahren haben Dr. Henry Wahlig und Dr. Jonna-Margarethe Mäder den Vortrag recherchiert und so den Vortrag „Der vergessene Anführer: Philipp Anschel und weitere jüdische Sportler in den Vorgängervereinen des VfL Bochum“ realisiert.
Philipp Anschel und Williy Kissinger haben eine Bochumer Vergangenheit
„Erich Gottschalk liegt mir am Herzen. Ich habe in einem Buch gelesen, dass es Meisterschaften der jüdischen Vereine gegeben hat und auch der VfL Bochum selbst einmal Meister wurde“, erklärt Henry Wahlig, dem der Fußball, besonders der VfL Bochum, eine Herzensangelegenheit ist. So ist es kommen, dass der Historiker gemeinsam mit Dr. Jonna-Margarethe Mäder den Vortrag recherchiert und realisiert hat. In der Recherche haben sich die Wissenschaftler gefragt, ob es jüdische Vereinsmitglieder aus allen drei Bochumer Vereinen gegeben hat, aus denen später der VfL Bochum hervorgegangen ist.
Den Anfang hat Philipp Anschel gemacht. Der Vereinsgründer des TV Bochum 1842 hat gezeigt, dass nicht nur an einem Ort nach den Informationen gesucht werden muss. Hierfür wurde auch im Stadtarchiv von Viersen recherchiert. „Anschel war jemand, der für Bildung und Toleranz in der Gesellschaft gestanden hat. Außerdem hat er sich stark in seiner Stadt engagiert“, so Mäder über den Lehrer einer jüdischen Schule. Bereits damals hat Anschel das Amt des zweiten Vereinssprechers inne. Später wird er erster Vorsitzender des TV. Am 23. Juni 1889 stirbt Anschel im Alter von 65 Jahren in Bochum. Seit Grab befindet sich auf dem jüdischen Freidhof an der Wasserstraße.
Weitaus mehr überrascht waren die Historiker, als sie erfahren haben, dass Willy Kissinger ebenfalls eine Vergangenheit in einem Gründungsverein des heutigen VfL hat. Am 3.8.1929 gibt Germania Bochum bekannt, dass Kissinger von Eintracht Frankfurt nach Bochum wechselt. Ein paar Spiele hat er für Bochum gespielt, ehe das damals regierende Regime seine Vernichtungsmaschinerie in Gang gesetzt hat. Aufgrund dessen ist Kissinger nach Luxemburg geflohen und hat dort den Holocaust überlebt.
Erich Gottschalk lebte zum Schluss in den Niederlanden
Am besten rekonstruierbar ist das Leben von Erich Gottschalk, dessen erster Verein der TuS Bochum war. Der gebürtige Wanne-Eickeler kam am 19. März 1906 zur Welt. Mit Schild Bochum wurde er 1938 deutscher Meister im Schild-Verband. Doch dann schlug das Regime in der Reichs-Progrom-Nacht zu. Das Ladenlokal des Textilhandels der Familie in der Bochumer Innenstadt wurde zerstört und Gottschalk zum ersten Mal inhaftiert. Nach der Freilassung floh Gottschalk mit seiner Frau in die Niederlande. Doch 1940 marschierten deutsche Truppen ein und brachten Gottschalk und seine Frau in das Lager Westerbork.
1944 wurde der inzwischen 38-Jährige mit seiner Frau und Tochter als einer der Letzten nach Auschwitz deportiert. Ein Wiedersehen sollte es nicht mehr geben, da Frau Rosa und Tochter René in den Gaskammern ermordet wurden. Erich hingegen überlebte einen der Todesmärsche, auf dem er sich tot stellte und von einer Bauernfamilie aufgenommen wurde. Nach dem Krieg kehrte Gottschalk nicht mehr nach Bochum zurück. Er ging in die Niederlande, wo er zwar ein zweites Mal heiratete, aber die Erlebnisse im Krieg ihn stark traumatisierten.
„Mein Onkel Erich war zeit seines Lebens ein großer Fußball-Fan. Aber er hat im Krieg den Glauben an Gott verloren“, erinnert sich Gottschalks Neffe Paul van de Vooren bei dem Vortrag. Er beschreibt seinen Onkel als jemanden, der sporadisch auf und ab gelaufen ist, wenn er nachts von den Kriegsbildern heimgesucht wurde. „Er war 18 Jahre älter als meine Tante und 18 Jahre jünger als seine Schwiegermutter. Meine Tante war politisch sehr aktiv und kam mit gleichaltrigen Männern nicht zurecht. Deshalb hat sie einen älteren Mann geheiratet“, schmunzelt van de Vooren. An guten Tagen habe sein Onkel davon gesprochen, dass er ein sehr guter Fußballer und auch einmal deutscher Meister gewesen ist. Gottschalk selbst sei nur noch sporadisch nach Bochum zurückgekommen. Doch bleiben wird er, in dem es einen nach ihm benannten Platz nahe dem Ruhrstadion geben wird.